Bierzeitung Seite 6
Erinnerungen an eine institutionalisierte Persönlichkeit
Für viele von uns begann es in der Sexta oder besser vor der Sexta, denn mit der sagenumwobenen grauen (schwarzen) Eminenz der Goethe-Schule machten wir schon Bekanntschaft vor Schulbeginn, nämlich bei dem Eröffnungs-Schulgottesdienst. Auf den ersten Blick war dieser Lehrer uns sympathisch, denn man konnte ihn ohne weiteres von hinten für einen von uns halten.
Diese Sympathie vermischte sich in der ersten Stunde bei ihm mit ehrfürchtiger Zurückhaltung, denn wir wurden sofort mit theologischen Maximen wie "Der liebe Gott hat vor den Lohn die Arbeit gesetzt", bekanntgemacht. Auch entpuppte sich dieser Lehrer als preussisch militärisch durchtrainiert. Sofort wurde zwischen Lehrer und Schülern ein einstimmiger Waffenstillstand geschlossen, wobei uns gleich klargemacht wurde, wer die dickeren Kanonen hatte. Auch wurden wir immer wieder aufgefordert, gut zu zielen, wenn wir schössen.
Ebenso wurden uns die Aufgaben der Zensuren erklärt. So lernten wir, dass die "1" für den lieben Gott bestimmt sei, die "2" für alle Priester, die "3" für sehr gute Schüler und die "4" für durchschnittliche Schüler. Bei der ersten Zensurengebung merkten wir erst, was für eine Klasse wir waren; wir bestanden zu 90% aus Priestern und sehr guten Schülern.
Wie so viele Regeln durch eine Ausnahme bestätigt werden, so konnten auch Schüler in göttliche Sphären aufsteigen. Die Bedingung war, dass solche Schüler bei den allstündlichen Singübungen das Lied SC II9 ohne Fehler vorsingen konnten. Dieses scheiterte meist an Hemmungen vor dem Lehrer mit der Stimme eines 2 Zentner schweren italienischen Heldentenors, den nicht nur die Goethe-Schule sondern alljährlich ganz Bochum bei der Stadtprozession bewundern konnte und noch kann. Aber im Laufe der Jahre sanken mit unseren Stimmen auch die Hemmungen gegenüber diesem Lehrer, der uns immer mehr zu einem väterlichen Freund wurde!
Er lehrte uns was "a priori" besteht und was "eo ipso" wahr ist. Auch öffnete er vielen von uns Augen und Ohren für Kunst und Musik. Immer mehr wurde uns im Laufe der Jahre seine Institutionalität klar, denn oft tat ein Blick oder Wink von ihm mehr als das Reden anderer Kollegen; und da er uns immer Verständnis entgegenbrachte und unsere Tücken kannte, wurde er für uns, wie für viele Schülergenerationen vor uns, der ungewählte Verbindungs- und Vertrauenslehrer, der er bis zum Abitur und darüber hinaus geblieben ist.
Für uns sind die 9 Jahre unseres Zusammenseins an ihm fast spurlos vorübergegangen, ausser dass seine Haare länger geworden sind und mit philosophischem Grau durchsetzt sind.
Aber bei genauerem Hinsehen merken wir, dass sich in den 9 Jahren die Goethe-Schule gewaltig geändert hat, so dass wir in diesem Lehrer ein Stück Goethe-Schul-Geschichte vor uns haben, wobei er einen der letzten Titanen einer vergangenen Goethe-Schul-Aera darstellt. (Manchmal haben wir Ambitionen zu fragen, ob es überhaupt eine Goethe-Schule ohne ihn gegeben hat.) Allerdings beschränkt sich sein Ruf nicht nur auf die Goethe-Schule sondern zieht weite überregionale Kreise.
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